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Kenia: Bildung, Beschneidung und Kinderhochzeit

Das ist nun mein dritter und letzter Artikel, den ich über die Reise mit der Caritas nach Kenia schreibe.

Es gab bereits zwei weitere Artikel zu meiner Reise:
1. Überblick – Lies von den Nomadenvölkern in Marsabit, im Norden Kenias, die in Folge der Klimakrise von einer langen Dürre und heftigen Überschwemmungen betroffen sind.
2. Besuchte Projekte – Ich stelle verschiedene Projekte vor, die wir besucht haben; zum Beispiel Frauenkollektive, die ihr eigenes Business aufbauen.

Heute möchte ich das Augenmerk auf Bildung, Beschneidung und Kinderhochzeit legen. Aber vor allem darauf, wieso Bildung von so immenser Wichtigkeit ist.

Die meisten Menschen, mit denen wir gesprochen haben, möchten ihre Kinder unbedingt zur Schule schicken. Ganz oft können sie sich das jedoch nicht leisten. Wie ihr im ersten Artikel gelesen habt, haben die Menschen durch Dürren und Überschwemmungen den Großteil ihrer Tiere und somit ihren wertvollsten Besitz (= Lebensgrundlage) verloren.

Wir alle wissen, dass Bildung wichtig ist und Leben verändert. Doch warum genau ist das so?

Wenn du als Mädchen in Marsabit, Kenia, geboren wirst, wirst du mit einer Wahrscheinlichkeit von 92% beschnitten und als Nachwuchs einer Nomadenfamilie wahrscheinlich als Kind oder Teenagerin verheiratet. Beschneidungen, also Mädchen ihre Schamlippen und Klitoris abzuschneiden (und das nicht unter sterilen Bedingungen, sondern literally in der Wüste), haben hier eine lange Tradition. In Kenia ist es jedoch mittlerweile illegal, Beschneidungen vorzunehmen, wenn du jedoch nicht lesen kannst, kennst du deine Rechte als Frau nicht.

Wenn du aber in die Schule gehst, lesen und schreiben lernst, deine Rechte verstehst und einen Abschluss machst, wirst du ein anderes Leben führen. Ein selbstbestimmteres Leben. Plötzlich hast du ganz andere Chancen und vor allem Wissen, das dich die Welt mit anderen Augen sehen und Zusammenhänge verstehen lässt.

Das ist natürlich recht vereinfacht erklärt – sich gegen die eigenen Eltern durchzusetzen wird immer schwer sein, allerdings erhöht eine Schulbildung die Chancen auf Selbstbestimmung nachweislich.

Tiigo School

Wir waren zu Besuch in der Tiigo School. Diese wurde 2016 eröffnet und ist ein Internat, das Kindern Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung ermöglicht. Das Konzept macht Sinn, da Nomad*innen keinen festen Wohnsitz haben und die Entfernungen teilweise sehr groß sind. Ein täglicher Schulweg von fünf Stunden hin und retour (und das zu Fuß) ist unrealistisch. Deshalb ist es ideal, dass die Schüler*innen hier übernachten können.

Nur 40% der Kinder in der Region schließen die Grundschule ab.

Gemeinsam mit PACIDA, der NGO vor Ort, mit der die Caritas eng zusammenarbeitet, wurde die Tiigo School gegründet. Sie wurde 2022 als zweitbeste öffentliche Schule in Marsabit ausgezeichnet. Mit finanziellen Mitteln der Caritas wurde der Schulkomplex gebaut. Der Fokus der Schule liegt auf Chancengleichheit und Unterstützung jener Kinder, die sonst keine Möglichkeit auf Bildung haben. Die Tiigo School bietet nicht nur ein sicheres Lernumfeld und friedliches Zusammenleben, sondern auch einen Schlafplatz und Lernmaterial.
Die Schule beherbergt circa 450 Mädchen und Jungs. Jedes Jahr müssen hunderte Kinder abgewiesen werden, da die Kapazitäten derzeit erschöpft sind. Außerdem ist der aktuelle Schlafsaal zu klein, weshalb sich momentan zwei Kinder ein Bett teilen müssen.

Da die Eltern seit dem Andauern der dreijährigen Dürre zum Großteil nicht in der Lage sind, das Schulgeld zu zahlen, unterstützt die Caritas 425 Kinder mit einem Zuschuss zur Schulspeisung.

Wir haben uns mit Kindern und dem Schuldirektor David Denge unterhalten.

Direktor David Denge erzählt:

Der Schulbetrieb ist zurzeit voll auf die Unterstützung von Organisationen wie PACIDA und Caritas angewiesen. Durch die Dürre können die meisten Eltern das Schuldgeld von 10.000 Kenia Schilling (das sind umgerechnet 66€ pro Jahr) nicht zahlen – ihre Kinder dürfen aber dank der Spenden trotzdem in der Schule bleiben und erhalten dort auch nach wie vor ihre Mahlzeiten und ihren Schlafplatz.

Außerdem haben wir uns mit zwei Mädchen unterhalten, die schon seit ein paar Jahren auf die Tiigo School gehen. Sie haben sich auf Englisch mit uns unterhalten und uns ein wenig über ihr Leben erzählt. Sie gehen nur alle paar Monate, wenn überhaupt, nach Hause. Sie fühlen sich sehr wohl in der Schule und sind froh, dass sie lernen können, denn bei ihren Familien war das nicht der Fall. Die vierzehnjährige Safi hat uns erzählt, dass sie später, wenn sie erwachsen ist, Ärztin werden möchte und Menschen helfen will. Ihre Lieblingsfächer sind Englisch, Mathe und Naturwissenschaften. Sie ist an der Tiigo School seit sie sieben Jahre alt ist und wird noch zwei Jahre dort bleiben. Midina hat berichtet, dass sie Journalistin werden möchte. Die beiden sind sehr wissbegierig und scheinen an der Schule richtig aufzublühen.
Auf uns wirkt es so, als wäre die Schule deren Safe Space. Und wenn man die Zahlen anschaut, erhärtet sich dieser Eindruck: Die meisten Mädchen im Alter der Schülerinnen wären normalerweise schon mit einem Mann der 10, 20, 30 oder 40 Jahre älter ist, verheiratet.

92% der Nomadinnen in Marsabit sind beschnitten.

Ein Gespräch mit der Hebamme Elisabeth Lesoipa:

Die 53-jährige Elisabeth Lesoipa hat 15 Jahre lang Mädchen und junge Frauen beschnitten. Mittlerweile ist sie eine Botschafterin gegen FGM (Genitalverstümmelung bei Mädchen & Frauen, bei der die Schamlippen und die Klitoris abgeschnitten werden). Ihr Einkommen als Hebamme hat sie durch ihren Aktivismus fast zur Gänze verloren – sie arbeitet nur mehr für Eltern, die ihr Kind nicht beschneiden lassen. Früher sah sie die Beschneidung als Ritual, heute als Verletzung. Seit über vier Jahren hat sie niemanden mehr beschnitten und versucht, Familien über die Risiken und Folgen der Beschneidung aufzuklären. Die Mütter sind oft rasch auf ihrer Seite, die Männer haben Angst, dass niemand ihre Tochter heiraten will, wenn sie nicht beschnitten ist. Sie erzählt uns, dass manche Mädchen bei der Hochzeit (mit deutlich älteren Männern) erst 9-10 Jahre alt sind. Wenn die Männer oder die Väter dann die Beschneidung erzwingen, hilft sie den Mädchen, sie anzuzeigen. Denn sowohl Beschneidung, als auch Kinderhochzeit, sind in Kenia längst illegal. Leider hindert das die Bevölkerung nicht daran, diese Rituale aufrecht zu erhalten. Elisabeth ist sehr mutig – sie erhält für ihre Einstellung sehr viel Gegenwind, aber hat auch Erfolg (siehe unten).

Ihr fragt euch nun vielleicht, warum nicht härter durchgegriffen wird. Wenn man jedoch bedenkt, dass allein der County Marsabit in etwa so groß wie Österreich ist, jedoch nur von etwa 450.000 Menschen bewohnt wird, die zum Großteil weit verstreut im Buschland leben und regelmäßig ihren Wohnort wechseln, dann ist das mit dem Gesetz so eine Sache. Wie erfährt die Polizei davon? Wie und wann kommt sie zum Ort des Geschehens? Die Häuser und Zelte der Menschen haben keine Adressen und liegen nicht an einer Straße, sondern buchstäblich in der Steppe. Die Existenz des Verbotsgesetzes sendet eine wichtige Botschaft, allerdings ist die Durchsetzbarkeit zurzeit noch fraglich.

Elisabeth Lesoipa findet: „Kein Ritual, sondern Verletzung.“

Sie hat so viele Mädchen bluten gesehen, sie hatten Komplikationen, auch wenn sie Kinder geboren haben. Die Spitäler sind viel zu weit weg, als dass sie mit den Mädchen dorthin fahren könnte. Sie hat ihr ganzes Leben keine sexuelle Lust empfunden. Sie hat nur davon gehört oder mal sehr frühe Erfahrungen gemacht, aber ab der Beschneidung war alles weg. Sie hat das Gefühl, einen Teil ihres Lebens verloren zu haben und nie mehr zurückzubekommen. Sie kann nicht mehr akzeptieren, dass irgendjemand das durchmachen muss, was sie durchgemacht hat.

Die Beschneidung hat in Kenia eine lange Tradition und die patriarchalen Strukturen sind festgefahren – in etwa so, wie bei uns vor einigen Jahrzehnten. Dass sich eine Frau gegen ein Ritual mit langer Tradition stellt und ihre Stimme gegen Männer erhebt, ja sie sogar anzeigt, beweist, dass auch hier längst andere Zeiten angebrochen sind.

Elisabeth und der Beamte Joshua Latero, der im „Gender department county of Marsabit“ tätig ist, berichten auch, dass sich die Zustände zumindest ein wenig verbessern. Die Quote lag früher noch über 92%. Manche Dörfer machen gar keine Beschneidungen mehr. Beide sind sich einig, dass besonders Aufklärung und Bildung Wege aus der Beschneidungs- und Kinderhochzeitfalle bedeuten. Denn nur so erfahren die Mädchen von ihren Rechten. Und solange sie in der Schule sind, ist die Chance auf eine Hochzeit oder eine Beschneidung zumindest deutlich minimiert.

Bildung für eine gesicherte Zukunft

Hier kommst du direkt zur Spendenseite für die Tiigo School.

828 Millionen Menschen leiden an chronischem Hunger.

Es gibt viele Möglichkeiten zu helfen. Indirekt, indem du für den Systemwandel eintrittst, nachhaltiger lebst und für die deine Stimme erhebst, die auf Hilfe angewiesen sind. Direkt, indem du spendest und anderen von der Lage der Nomad*innen im Norden Kenias erzählst.

Jede Spende zählt

Jede Spende zählt. Mit 10€ schenkst du bspw. einer Familie fünf Setzlinge für Obstbäume. Mit 40€ kann sich eine Familie einen Monat lang mit Lebensmittel versorgen. Mit 45€ ermöglichst du den kauf einer Ziege für Nomad*innen. 100€ ermöglichen bspw. Wasserlieferungen. Du kannst auch ab 10€ Patenschaften abschließen und der Caritas helfen den Hunger nachhaltig zu bekämpfen.

Lies hier mehr über die aktuelle Hungerkampagne der Caritas Österreich.

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