ALEX, Brainfood, Change The World, Eco

Unser Leben auf Kredit

Heute habe ich Alex mal das Wort übergeben, der sich mit unserem schon viel zu weit reichenden, globalen Ressourcenverbrauch auseinandergesetzt hat.

Der World Overshoot Day ist im Jahr 2019 schon am 29. Juli. Er markiert das Datum im Jahr, an dem die Ressourcen, die der Planet für ein Jahr bereitstellen kann, verbraucht sind. Dieser Tag enthält eine wichtige Message: Wir leben auf Kredit. Wir haben Luxus und Komfort auf Kosten des Planeten verbraucht. Das Schlimmste? Wir Menschen halten diesen Standard für normal, obwohl dafür bereits viel zu oft Grenzen überschritten wurden.

Wir importieren billiges Land, billige Arbeit und billige Natur, ohne die Konsequenzen zu bedenken

Wie ist das alles passiert? Warum haben wir begonnen, Teile der Erde auszubeuten und auf Kosten anderer Menschen und der Natur Reichtum und Überfluss zu erlangen? Warum denkt darüber selbst heute kaum jemand im Detail nach?
Die Antwort findet sich teilweise in der Geschichte: Die Ursachen für dieses Verhalten der westlichen Welt und Europas liegen hunderte Jahre zurück, als die ersten Kolonien gebildet wurden, dort die Menschen versklavt wurden und ihnen eingeredet wurde, sie würden sich durch Arbeit frei machen können und dem Glauben oder Europa dienen. Eigentlich waren die Sklaven meist das versprochene Gut für Investoren, die teure Kriege finanzierten und davon profitieren wollten. Die Länder alleine reichten nicht. Schon damals waren die Schlachten und Eroberungen von Teilen Amerikas oder Inseln wie Gran Canaria so teuer, dass die Banken und die einflussreichsten Europäer für die Finanzierung für sie hoch lukrative Gegenleistungen verlangten. Silber, Erz, Anbauflächen und vor allem tausende oder zehntausende Sklaven waren meist die Gegenleistung für die Finanzierung. Auf den Rücken der neuen Leibeigenen wurde Jahrzehnte lang Geld eingespart, da keine bezahlten Arbeiter mehr gebraucht wurden.

Dieses Prinzip, in anderen Erdteilen billige Arbeit, billiges Land, billige Energie und billige Leben (Tiere etc.) zu nutzen, um woanders Warenvielfalt und im Vergleich zu den dortigen Arbeits- und Lebensbedingungen puren Luxus zu ermöglichen, ist also nicht neu und wird bis heute gelebt. Sogar die verursachte Umweltverschmutzung wird gerne ins Ausland exportiert, um die eigenen Böden zu schonen. Hunderttausende Tonnen Plastikabfall aus deutschen Haushalten werden zum Beispiel jedes Jahr ins Ausland exportiert, meist nach Malaysia. Warum? Wir haben zu viel Müll, wir können ihn nicht mehr verarbeiten, verbrennen oder lagern, weshalb wir ihn in größere Länder abschieben. Dort gibt es Städte, die in Müll regelrecht untergehen. Der Staat verdient durch den Import von europäischem Müll Milliarden, die Umweltverschmutzung, die schädlichen Gase, die bei Verbrennungen (oft auf offener Straße) eingeatmet werden, der ganze Wahnsinn rund um diesen Müll, bleibt. Wir verbrauchen also nicht nur zu viele Ressourcen, die wir längst nicht mehr haben. Wir erzeugen dadurch auch so viel Abfall, dass wir damit nicht mehr umgehen können. Das ist unser Leben auf Kredit.

Man verlagert also die negativen Auswirkungen vor und nach der Produktion ins weit entfernte Ausland. Doch das macht langfristig keinen Sinn, denn wir leben auf ein und demselben Planeten.

Hier ein konkretes Beispiel für billige Natur, Arbeit, Fürsorge, Nahrung, Energie, Geld und Leben aus dem Buch Entwertung (Raj Patel, Jason W. Moore)

Hühnerfleisch ist das beliebteste Fleisch der USA und wird bald das beliebteste Fleisch der Welt sein. Die 60 Milliarden Vögel, die dafür jährlich so hochgezüchtet werden, dass sie weder richtig fliegen, noch gehen können und dann auch geschlachtet werden, sind billige Natur. Die Arbeiter, die zu über 80 Prozent Schmerzen von ihrer Arbeit haben, die psychischen Belastungen ausgesetzt sind und dafür im Durchschnitt nur 2 Cent jedes Dollars, der für Fast Food-Huhn ausgegeben wird, erhalten, sind ein Beispiel für billige Arbeit. Meist folgen auf die Arbeit in solchen Betrieben massive Gesundheitsschäden. Werden diese Menschen zu Pflegefällen, werden sie von vielen Faktoren abhängig (Angehörige, Finanzierung der Pflege, …), die weit außerhalb der Hühnerproduktion liegen, die aber dafür verantwortlich ist. Das ist dann billige Fürsorge. Die dabei entstehende Nahrung, die Fast-Food-Chicken-Gerichte, haben kaum Nährstoffe und sollen zu niedrigen Preisen bei hohen Margen an die Konsumenten gebracht werden. Das ist billige Nahrung. Hühnerfleisch ist im Vergleich zu Rind klimafreundlicher. Die Haltung von so vielen Milliarden Vögeln, die jährlich geschlachtet werden, verbraucht aber immens Energie. Ohne Propan ist dies nicht möglich, was wir billige Energie nennen. Lukrative Unternehmenskredite und Subventionen finanzieren die Erschließung immer mehr Landwirtschaftsfläche, vor allem in China oder Südamerika, um Soja anzubauen, das den Vögeln verfüttert wird. Die Finanzierung erfolgt also durch billiges Geld. Schon die Geschichte zeigte: Irgendwo müssen Menschen massiv an Lebensqualität verlieren (damals Sklaverei, heute meist Arbeit in Billiglohnfabriken unter Belastung durch Chemikalien etc.), um diese billigen Dinge möglich zu machen, damit woanders Menschen, in diesem Beispiel, billiges Huhn essen können. Diese Menschen sind die letzte Komponente: Billige Leben.

Wir haben Ressourcen verbraucht, die wir nie berühren hätten dürfen, um unseren Konsum und die globale Wirtschaft immer größer werden zu lassen. Als hätte uns die Erde einen Umweltkredit gegeben, an dessen Rückzahlung wir aber nie gedacht haben.

Was kann man sich unter dem Import von billigem Land konkret vorstellen? Man muss sich dieses Prinzip so vor Augen führen: Die genutzte Fläche von zum Beispiel Europa ist wesentlich größer als Europa selbst. Wir rund 750 Millionen Europäer leben zwar ’nur‘ auf den 10 Millionen km², die der Kontinent hat, unsere Waren und unsere Nahrung werden aber direkt und indirekt (z.B. Soja aus dem Amazonasgebiet für die Schweine oder Rinder, die später in Europa geschlachtet werden) auch ganz woanders produziert. Wir beanspruchen damit Land und Ressourcen für unseren Konsum, ohne es zu sehen zu bekommen und uns somit die Konsequenzen vor Augen zu führen.

Versteckte Kosten unseres Konsums zerstören den Planeten

Der Keks, in dem Palmöl, das auf gerodeten Waldflächen unter lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen angebaut wird, steckt, wird schön verpackt und mit einem deutschen Markennamen versehen. Vom höchst schädlichen Umgang mit Mensch, Natur und Tier ist nichts mehr zu sehen. In diesem Keks stecken ökologische Kosten für das Ökosystem, die nicht da ausgebadet werden, wo er gegessen wird, wodurch die Konsumenten das nicht offensichtlich (oder sehr spät) bemerken. Auch die Fleisch- und Milchindustrie täuscht uns gerne. Auf Produkten aus Massentierhaltung werden ‚glückliche‘ Kühe abgebildet, Weiden in Werbungen gezeigt und sympathische Bauern geben auf Plakaten Statements ab. Idylle pur, könnte man meinen. Die dunklen, winzige Boxen für die Kühe, die Tonnen an Antibiotika, die jedes Jahr in die Tiere gepumpt werden, die irrsinnigen Züchtungen, damit die Kühe täglich bis zu 100 Liter Milch (!) geben, die Unmengen an genmanipuliertem Soja und Mais, die für die Tierfütterung in Südamerika angebaut werden und die Regenwaldfläche, die dafür in Übersee gerodet wurde, der Kot und die unvorstellbare Umweltverschmutzung für das Grundwasser und das Klima, bleiben allesamt unbemerkt. In Österreich zum Beispiel werden zwei Drittel der tierischen Produkte in Kantinen oder Restaurants konsumiert (Quelle: Der Standard), wo über die Herkunft überhaupt keine Informationen vorhanden sind.

Wir haben Dinge, die wir nie bekommen hätten sollen

Durch den Welthandel, die globalen Warenmärkte und die grenzenlosen Verfügbarkeiten von Lebensmitteln und allen anderen, erdenklichen Waren, sind wir es gewöhnt, alles immer billig beziehen zu können. Eine lokale Bio-Zwiebel für 20% Mehrkosten? Nein, danke. Fair gehandelter Bio-Kakao für 5€? Für das Geld bekomme ich schon ein Shirt beim Billig-Discounter. Die Pestizide, die unser Ökosystem kaputt machen, die Menschen, die ohne Schutz unsere Kleidung und die neuesten Fall/Winter-Ledersneaker mit nichts anderem als Gift gefärbt haben, der horrende Wasserverbrauch der (nicht Bio-) Baumwolle, die Verschiffung über hunderte oder tausende Kilometer? Juckt nicht, weil man davon nichts zu sehen bekommt. Sobald jemand davon erzählt, reagieren viele abwehrend und möchten nicht darüber sprechen. Allgemein scheint die Menschheit im Glauben zu sein, die Natur macht schon so weiter wie bisher und wird schon nicht zugrunde gehen, dabei ist genau das teilweise bereits passiert. Die Folgen der Klimakrise und des maßlosen Raubbaus, den der Mensch an unserem unglaublich schönen und so durchdachten Planeten begangen hat, sind verheerend.

Luxus wieder als Luxus wahrnehmen

Wir müssen das Gleichgewicht wiederfinden und aufhören, die ständigen Kurzstreckenflüge (weil es ja so billig ist und schnell geht), billiges Fleisch, billige Nahrungsmittel, 5€-Shirts, giftig gegerbtes Leder aus China und Flug-Mangos als unser gutes Recht zu erachten und verstehen, dass diese Dinge purer Überfluss sind, die nicht einfach so vom Himmel gefallen sind. Das zu verstehen hat nichts mit Verzicht und einem langweiligen Leben zu tun, sondern damit, unseren Ressourcen und unseren Mitmenschen, mögen sie auch weit weg leben, Respekt und Dankbarkeit entgegenzubringen. Ein faires Produkt zu kaufen bedeutet, damit faire Arbeitsbedingungen zu finanzieren, was für Arbeiterinnen und Arbeiter in dem Land, wo das Produkt im Regal steht, völlig normal wäre. Weniger oder gar nicht zu fliegen, den eigenen Lifestyle von vorne bis hinten zu überdenken und umzukrempeln, wenig Fleisch zu essen, regionale Produkte zu kaufen, Abfälle zu vermeiden, generell viel weniger zu konsumieren, all das ist kein Verzicht. Es ist der Zustand, den wir nie verändern hätten dürfen, wenn wir das viel schönere, wichtigere erhalten wollten: Den Ort, an dem wir leben, unsere Erde.

Heute wird aber so ein fair produziertes Produkt als Luxusprodukt verstanden. Kann das der Ernst unserer Gesellschaft sein, das Ausbleiben von Menschenrechtsverletzungen als Luxus zu betrachten, den man ‚sich mal leistet‘, während man in einem Land lebt, in dem der Fakt, dort geboren zu sein, global betrachtet bereits ein großes Privileg darstellt.

Natürlich gibt es Menschen, die sich ein Umdenken weniger oder gar nicht leisten können. Gehen wir einmal davon aus, alle, die es sich leisten können oder Schritt für Schritt Verbesserungen machen können, würden es tun – damit wären viele Probleme gelöst. Manchmal ist es aber auch einfach eine Frage von Prioritäten. Wer generell weniger konsumiert hat dann ein paar Euro mehr für qualitativ hochwertigere und nachhaltigere Nahrungsmittel. Die Diskussion um die Kosten von Bio-Lebensmittel oder nicht-Billigfleisch findet man unter jedem Artikel zum besagten Thema, egal ob auf Facebook oder in den Kommentaren zum Artikel. Hier passiert oft das folgende: Man möchte, dass eine Lösung für alle möglich ist, sonst soll sie lieber niemand verfolgen. Sprich, wenn sich 20% der Menschen das teurere Fleisch oder eine bio-vegane Ernährung nicht leisten können, soll lieber keiner damit beginnen. Ähnlich wie Menschen, die versuchen, dem Klimawandel Einhalt zu gebieten und unnötige Umweltbelastungen zu vermeiden, bitte wirklich alles richtig machen sollen und nicht nur 80%.

Wir verbrauchen Ressourcen, die nicht verbraucht werden dürfen

Die Menschheit hat in der Geschichte, wenn Ressourcenknappheit herrschte, immer wieder Wege gefunden, noch mehr Bäume abzuholzen, noch mehr Braunkohle abzubauen, noch mehr Silber zu schüren und einzuschmelzen. Meist dann, wenn viel Kapital im Spiel war oder man mit der Ausbeutung von Natur und Mensch viel Geld machen konnte. Auch das gibt es bis heute. Die Maßlosigkeit ist in den letzten Jahrhunderten nicht weniger geworden. Alle wollen alles und das jetzt. Die Märkte sind sehr transparent geworden, jeder findet im Online-Versandhandel alles nochmal 3 Euro billiger, als im Geschäft nebenan.

Man könnte meinen die Autos fahren doch, es muss also genug Öl geben. Insgeheim wissen wir aber alle, dass diese Rohstoffe schon längst zur Neige gingen und wir heute auf blanke Kosten des Planeten weiter Öl pumpen, mit Kohle Strom erzeugen, Massentierhaltung betreiben und Plastikmüll im Meer abladen (mittlerweile auf zusammenhängenden Flächen so groß wie manche Länder). Genau das zeigt auch der eingangs erwähnte World Overshoot Day: Wir sind drüber. Drüber über die Grenzen unserer Erde, auf der wir leben.

Wir > Ich

Weniger ich und mehr wir wäre ein Ansatz. Was passiert, wenn ich dies oder jenes tue oder kaufe? Wo wird das hergestellt, welche Ressourcen werden verbraucht? Muss ich jeden Tag drei Mal Fleisch oder Wurst essen und eine Stunde Zeit einsparen, wenn ich von München nach Berlin fliege, anstatt den Zug zu nehmen, oder packe ich mit an und ändere ein paar Gewohnheiten, um unglaublich grausamer und klimaschädlicher Massentierhaltung ein Ende zu setzen und den Bahn- und nicht den Flugverkehr zu unterstützen? Bin ich bereit, wenn eine Flugreise sich nicht vermeiden ließ, oder auch bei anderen Reiseformen, zumindest einen CO2-Ausgleichsbetrag (z.B. auf atmosfair) zu leisten, um trotzdem etwas zurückzugeben, auch wenn es meinen Ausstoß nicht ungeschehen macht? Spreche ich mit meinen Freunden und Familienmitgliedern über das Wetter oder doch lieber über das Klima, über meinen Ökostrom-Umstieg und all die Dinge, die ich unternommen habe und zeige damit hey, es geht ganz einfach, und außerdem ist es richtig so!

Der Planet hat uns unfreiwillig einen Öko-Kredit gewährt – jetzt ist Zahltag.

Wenn jeder seinen Teil tut, können wir das Ruder noch herumreißen. Sich das lange einzureden und zu hoffen, dass Politiker oder Entscheidungsträger Veränderungen herbeiführen, ist jedoch zu wenig. Ja, die Industrie und große Konzerne fügen dem Planeten den meisten Schaden zu. Veränderung funktioniert aber oft eben von unten herauf. Dass sogar schon die jüngsten in unserer Gesellschaft auf die Straße gehen, um eine schöne Zukunft des Planeten zu ermöglichen, sollte den Erwachsenen zu denken geben. Da wurde nicht lange überlegt, ob jetzt ein Mensch wirklich den großen Unterschied machen kann, sondern gehandelt – und dann waren da plötzlich ganz viele, die einen Unterschied machen wollten und dafür gekämpft haben. Der Rest ist Geschichte.

 

Buchtipp:

Das Prinzip von billiger Natur, billiger Arbeit, billigen Leben, billiger Energie und den damit verbundenen Kosten für unseren Planeten und die Menschen wird besonders gut im Buch Entwertung von Raj Patel und Jason W. Moore erläutert – ein Must-Read für jeden, der die Hintergründe der Ausbeutung in unserer Welt verstehen möchte.

 


Quellen: Entwertung (Raj Patel, Jason W. Moore); Das System Milch (Andreas Pichler); Spiegel; WWF; GEO; BBC.

 

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2 Comments

  • Reply alexandrasiegler 25. August 2019 at 6:20 pm

    vielen dank für den weiteren tollen beitrag …. auf dass endlich mehr und mehr in die richtige richtung geschieht !!!

    • Reply Justine 26. August 2019 at 9:26 am

      Danke!! Das hoffen wir auch 🙂

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